Podiumsgäste bei der 27. Equitana in Essen: Christina Uezt, Soenke Lauterbach, Kenzie Dysli und Benedikt Binder-Krieglstein

DAS PFERD MUSS BLEIBEN – dieser Satz stand schon vor über vierzig Jahren über der Bande in vielen Reithallen. Wo er nicht stand, war REITEN LERNT MAN NUR DURCH REITEN zu lesen. Doch wo geht es in modernen Zeiten hin mit der Faszination Pferd? Für immer mehr Menschen liegt das Glück der Erde nicht auf dem Rücken der Pferde, sondern neben ihnen. Auf Augenhöhe quasi. Im Rahmen der 27. Equitana standen Vertreter der Szene im Fokus und wagten einen Blick in die Zukunft des Pferdesport bzw. des Wirtschaftsfaktors Pferd. Das Motto der Veranstaltung lautet seit Jahren: AUS LIEBE ZUM PFERD

Die Equitana als Wegweiser für die Zukunft

Christina Uetz ist seit über 25 Jahren als Event Direktorin verantwortlich für die alle zwei Jahre stattfindende Equitana in Essen. Neben 600 Ausstellern präsentieren sich im Rahmen der Trainingsprogramme und Showabende namhafte Größen der Turnier- und Showszene. Ein Publikumsmagnet für Pferdeleute. Denn 90% der Besucher reiten, 75% haben ein eigenes Pferd. Und die verbleibenden 10%? Vermutlich Eltern von Pferdemädchen oder (hin und wieder) -jungs. 

Gefragt nach ihrem Antrieb das Motto der Messe zu unterstreichen, antwortet sie:

„AUS LIEBE ZUM PFERD veranstalten wir seit 51 Jahren die Equitana.“

Soenke Lauterbach ist Generalsekretär der FN (Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V.). Er blickt mit den Augen eines Geschäftsführers nicht zuletzt auf die Wirtschaftlichkeit der Branche. Schließlich gibt es in Deutschland 1,25 Millionen Pferde und Ponys, die alle gefüttert, ausgebildet, ausgestattet und gepflegt werden wollen. Im Jahr 2022 erzielte der Wirtschaftsfaktor Pferd einen Umsatz von sieben Milliarden Euro.

„AUS LIEBE ZUM PFERD ist die FN seit 50 Jahren Partner der Equitana.“ (Ein Jahr wurde ausgesetzt)

Kenzie Dysli ist Reiterin, Freiheitstrainerin und Showreiterin. Sie tritt seit ihrem 15. Lebensjahr bei der Equitana auf. Schon ihr Vater, der Westernreiter Jean-Claude Dysli (gest. 2013), zeigte vor vielen Jahren Elemente der Freiheitsdressur bei vergangenen Pferdemessen. Die Schweizerin lebt in Andalusien auf der Hacienda BUENA SUERTE. Pferdemädchen kennen sie und ihre talentierten Vierbeiner aus den Kinofilmen OSTWIND.

„AUS LIEBE ZUM PFERD reite ich, seit ich sechs Jahre alt bin.“

Benedikt Binder-Krieglstein ist CEO des Messeveranstalters RX Austria & Germany und in dieser Funktion verantwortlich für die Equitana. „Nach den schwierigen Jahren der Pandemie zeichnet sich ein Trend ab, der Mut macht, nach vorne zu schauen und weiter zu machen.“ Diese Aussage liegt auch darin begründet, dass sich 2023 wieder mehr Aussteller zur Messe angemeldet haben als 2022 (die Messe fand ausnahmsweise nicht im Rhythmus statt, sie war zuvor wegen der Pandemie ausgefallen).

„AUS LIEBE ZUM PFERD darf ich solch eine Show veranstalten.“

Wirtschaftsfaktor Pferd

Seit den 1960/70-er Jahren ist die Wirtschaft rund um die Pferde ein Wachstumsmarkt. Es gibt rund 2,5 Millionen Aktive; 15 Millionen Deutsche haben eine Affinität zum Pferd. Mit rund sieben Milliarden Umsatz im letzten Jahr ist die Pferdebranche immer noch auf dem aufsteigenden Ast. Auf ihrer Homepage schreibt die FN:

  • Mehr als 10.000 Firmen, Handwerksbetriebe und Dienstleistungsunternehmen in Deutschland haben direkt oder indirekt das Pferd als Haupt-Geschäftsgegenstand.
  • Der Umsatz der deutschen Pferdewirtschaft liegt bei geschätzten 6,7 Milliarden Euro. Darunter fallen 39 Prozent (2,6 Mrd. Euro) der Ausgaben auf den Bereich Pferdehaltung, 61 Prozent (4,1 Mrd. Euro) auf den Bereich Einzelhandel und Dienstleistungen.
  • Auf den Reitpferdeauktionen der Zuchtverbände im Jahr 2021 wurden 783 Reitpferde zu einem Durchschnittspreis von 29.874 Euro versteigert. Der Gesamtumsatz dieser Auktionen betrug 23.391.577 Euro (Vorjahr: 779 Reitpferde, Durchschnittspreis 24.187 Euro, Gesamtumsatz 18.842.043 Euro). Weiterhin wurden bei den Auktionen der Zuchtverbände rund 1.917 Zuchtpferde und Fohlen sowie Ponys und Kaltblüter (Vorjahr: 1.471) versteigert.

Das Pferd als Freizeitpartner

Im Pferdesport als Freizeitaktivität vollzieht sich seit den letzten Jahren ein großer Wandel. Nicht jeder möchte unbedingt reiten. Es geht vielmehr um den Partner Pferd als Lebewesen, welches Grenzen aufzeigt und so die gemeinsame Arbeit mitbestimmt. Horsemanship war der Oberbegriff für ein dominanzfreies Miteinander von Mensch und Tier. Doch bei allem „gentle touch“ sollte Mensch nicht vergessen, dass es sich um einen wesentlich stärkeren Kooperationspartner handelt (ein Pferd wiegt rund 600 kg), der allein aus Sicherheitsgründen für alle Beteiligten kontrolliert werden muss. Und das stellt keinesfalls einen Widerspruch zum respektvollen Umgang miteinander dar. 

Hier sind Veranstaltungen wie die Equitana Wegweiser und Lehrmeister. Denn neben der großen Social Media Präsenz bekommen Größen wie eben Kenzie Dysli, Lisa Röckener, Michelle Buchholtz und viele mehr eine analoge Plattform hinzu. Und ist es auszuschließen, dass die Ernsthaftigkeit hinter der eindrucksvollen Arbeit, die zumeist im Netz gesehen wird, durch die Präsenz bei Shows und Messen in hohem Maße steigt? Vor allem bei denjenigen, die Influencer immer noch belächeln. Es zeigt, dass ein Umdenken in vielerlei Hinsicht erforderlich ist. Nicht nur im Pferdesport.

Pferde sind Delfine auf dem Land 

„Pferde sind Persönlichkeitsentwickler. Sie lehren Verantwortung und Naturverbundenheit. Ich erhole mich während der ganzen Stunden im Stall, nicht nur die Zeit auf dem Pferd, sondern jede Minute mit dem Pferd bedeutet Erholung. Und für junge Menschen ist der Umgang prägend für das ganze Leben“, weiß Soenke Lauterbach aus eigener Erfahrung.

Kenzie Dysli geht noch einen Schritt weiter: „Pferde sind Delfine auf dem Land.“

Dem würden wohl alle Beteiligten rund um die große Bandbreite des Therapeutischen Reitens Recht geben.  

Doch wie sieht es im Spitzensport aus? 

Der Umgang mit dem Sportpartner Pferd

Der Leistungssport ist eine Klasse für sich und es ist davon auszugehen, dass die Pferde nur in der Lage sind, Spitzenleistungen zu erbringen, wenn sie optimal trainiert, versorgt und gehalten werden. Doch wie sieht es bei den ca. zwei Millionen Menschen in Deutschland aus, die Reiten und Pferdehaltung als Hobby betreiben? Gerade für diese Zielgruppe ist das Verbreiten von Fachwissen wichtig. Denn bei der Pferdehaltung gilt wie fast überall: gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Das Pferd, seine Anatomie und sein Stoffwechsel sind komplex. Seine mentale Gesundheit gehört zur Basis einer funktionierenden Beziehung zwischen Mensch und Tier. Die Thematik um Ausbildung von Reiter und Pferd allein ist eine Wissenschaft für sich. Wie sieht eine wirklich artgerechte Haltung aus und wie kommuniziert das Pferd, dass seine Grenzen erreicht sind? Das und noch tausend Fragen mehr beschäftigen den Pferdemenschen seit Jahrzehnten. Ist es da nicht ein Segen, dass auf Veranstaltungen wie der Equitana das gesammelte Fachwissen der einzelnen Bereiche aufeinandertrifft? Und noch mehr, dass es mit digitalen Lehrplattformen wie WEHORSE oder Ähnlichem direkt zugänglich gemacht wird? Von diesen Angeboten profitieren natürlich auch die Macher, Protagonisten und Werbungstreibende. Doch am Ende des Tages kann man  wohl sagen, sie alle geben ihr Bestes AUS LIEBE ZUM PFERD.

Nachhaltigkeit im Pferdesport

Sozial, ökologisch und ökonomisch; drei unabdingbar miteinander verwobenen Adjektive, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Gerade im Pferdesport gibt es bei allen drei Säulen noch einiges zu verbessern. Auch hier trägt die Equitana eine großen Teil bei. Seit 2007 wird der Innovationspreis verliehen, der nicht nur das Neue ehrt, sondern gerade die Kombination aus neu und nachhaltig unterstützt wird. Reitsport ist noch nicht nachhaltig und die Aufgabe für die nächsten Jahre wird es sein Plastik zu vermeiden, Weiden zu stabilisieren, faire Arbeitsmodelle zu schaffen und vielleicht auch alte Traditionen wieder zu beleben. Beispielsweise den Einsatz von Rückepferden, die in den Wäldern naturschonender Arbeiten als jedes schwere Gerät.

Die Zukunft im Pferdesport

Wie wird die Equitana in 10 Jahren aussehen? Und was bedeutet das für die Fachbereiche der Podiumsgäste?

Benedikt Binder-Krieglstein: „Wir sehen diesen Trend in Richtung 365-Tage-Plattform via Social Media. Die Equitana ist die physische Veranstaltung hierzu. Aussteller und Besucher können 365 Tage bedienen bzw. bedient werden. Dadurch wird das Wissen der Kunden noch einmal erhöht. Es ist unsere große Chance, dass es so viele Kanäle gibt, auf denen Wissen transportiert wird. Die Equitana wird weiterhin das Zentrum der Pferdeleidenschaft bleiben, aber wir werden versuchen ein sehr großes digitales Netzwerk zu bauen, weil wir Wissensplattform sind und nicht nur Leidenschaft teilen.“

Kenzie Dysli: „Ich denke, dass sich die Bereiche Freiheitsdressur und Verbindung mit dem Pferd weiter entwicklen werden. Aber auch in der Thematik Dressur wird es mehr um feinere und sensiblere Umsetzung gehen. Ich denke, das wird sich noch extrem weiter entwickeln.“

Soenke Lauterbach: „Vielfalt wird bleiben, wird sicherlich noch ein bisschen mehr werden. Ich habe eine Sorge, das sage ich ganz offen. Hinsichtlich der finanziellen Entwicklung, mit der wir es zu tun haben. Reiten ist kein Sport für reiche Menschen. Sicher, es gibt Reiche, aber wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft. Ganz normale Menschen. Wir müssen aufpassen, dass Pferdesport erschwinglich bleibt. Angesichts dessen, was wir gerade in den letzten Monaten erfahren. Ich hoffe, dass uns das gelingt. Dass Preise nicht weiterhin so durch die Decke schießen und Menschen weiterhin mit ihren Pferden die Freizeit verbringen können. Denn eins wird immer unverrückbar bleiben: die Liebe zum Pferd.

Christina Uezt (ihr Herz schlägt vor allem für die HOPTOP-Show im Rahmen der Equitana): „Ich bin sicher, dass wir auch dann noch eine HOPTOP-Show haben werden. Trotz der angestrebten 365-Tage-Plattform hoffe und glaube ich, dass sich das LIVE-Erlebnis nicht ersetzten lassen wird und der Pferdegeruch, den jeder von uns gerne in der Nase hat, immer gerne  erlebt wird. Ob im Stall, Zuhause oder beim Treffen der ganzen Pferdewelt bei uns auf der Equitana.“

600 Aussteller machen die Messe bunt und vielseitig

Die nächste Equitana findet im März 2025 statt

Über die Equitana:

Die EQUITANA ist die weltweit größte Messe im und für den Pferdesport. Seit mehr als 50 Jahren ist sie Vorreiter und Innovationstreiber, Marktplatz und Treffpunkt für Branche und Besucher. Disziplinen-übergreifend bringt sie Menschen aus Liebe zum Pferd zusammen, fördert den Austausch untereinander und die Weiterentwicklung von Sport, Zucht und Haltung.

Die Messe wurde 1971 gegründet und fand erstmals am 27. April 1972 in fünf Hallen der Messe Essen statt, die von 170 Ausstellern und 51.000 Besuchern frequentiert wurde. Seit 1973 findet die Equitana im Zweijahres-Turnus statt. In den 1970er und 1980er Jahren verzeichnete die Messe stetig steigende Aussteller- und Besucherzahlen. 1989 wurde die Equitana an die Blenheim International Deutschland GmbH in Düsseldorf verkauft, einen Vorgänger der Reed Exhibitions Deutschland GmbH. Reed Exhibitions richtet die Messe seit 2001 aus.