Trotzen vierbeinige Athleten der Corona-Krise?
Die Medien sind voll von Meldungen über abgesagte Sportveranstaltung, allen voran die Olympischen Spiele in Japan. Zerplatzte Träume, verprellte Legenden und vertane Monate; ach was, Jahre.
Oft kamen die Sportler zu Wort, die sich nun neu organisieren und mit den unterschiedlichsten Maßnahmen versuchen, ihren Leistungsstand mindestens zu halten, eher noch zu verbessern. Doch wie geht es in Corona-Zeiten eigentlich den vierbeinigen Athleten? Was ist mit den Pferden der Dressur-, Spring- und Vielseitigkeitsreiter, die in den nächsten Wochen und Monaten nichts anderes sehen, außer der heimischen Gefilde? Wie wirkt sich die Umgebung auf die Leistung aus? Vermissen einigen Spitzenpferde die Abwechslung, das Fliegen, den Trubel und die motivierende Aufgeregtheit ihrer Reiter? Schade, dass wir sie nicht direkt fragen können.
Fest steht: So unterschiedlich wir Menschen mit der Krise umgehen, so wird es auch bei Pferden verschiedene Gemüter geben. Denken wir an die robusten Athleten, die sich nervenstark und gelassen fast von allein durch den Parcours pilotieren lassen, sie dürften tatsächlich zu denen gehören, die sich wundern, dass kein Langstreckenflug und kein mehrstündiges LKW-Motorengeräusch vom Stallalltag ablenkt. Doch viel mehr wird nicht passieren. Und auch die Prognose für die neue Saison wird mit Corona-Quarantäne nicht sonderlich abweichen. Diese „alten Hasen“ werden im nächsten Jahr wieder mit Gelassenheit ihre Leistungen bei reitsportlichen Großveranstaltungen abspulen und ihre Reiter glänzen lassen.
Ein wenig anders sieht es da schon aus bei den Dressurpferden. Oft zwar gar nicht so sensibel, wie ihnen nachgesagt wird, kommt ihnen doch ein starkes Nervenkostüm zu Gute. Es sei wichtig, wenn auch nur annähernd, eine Turnieratmosphäre zu schaffen, erzählt Konstanze Kramer. Die Dressurreiterin weiß, dass ihre Pferde von Turnier zu Turnier gelassener werden und so sei es hilfreich, dass die äußeren unvorhersehbaren Impulse auch im Sommer 2020 hin und wieder zuhause nachgestellt werden. „Und wenn zwecks mangelnder physischer Publikumsbeteiligung Geräusche vom Tonband und visuelle Überraschungen vom Pferdepfleger simuliert werden. Alles ist besser als nichts.“
Wie bei allen Athleten, gibt es natürlich auch in reitsportlicher Hinsicht Verlierer der Krise oder besser gesagt, um Chancen gebrachte Reiter und Pferde. Wenn das Alter beim Reiter zwar nicht die größte Rolle spielt, ist es bei den Sportpartnern altersbedingt sehr wohl möglich, dass der Leistungspeak von 2020 nicht mit in die nächste Saison und somit nicht nach Japan genommen werden kann. Wohl dem, der die Qual der Wahl zwischen mehreren Spitzenpferden hat, von dem zumindest eins ein Olympiaanwärter bleibt.
Doch nicht nur die aktiven Sportpferde sind von der aktuellen Situation betroffen, auch die, die erst noch Spitzenpferde werden wollen sind bei Weitem nicht außen vor. Junge Pferde werden in diesem Sommer aller Voraussicht nach keine Möglichkeit haben sich den Augen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Sie werden keine wertvollen Erfahrungen sammeln können, die ihnen ermöglichen ihre Leistungen dann unter den Augen der Richter, Züchter und Reiter unter Beweis zu stellen. Die Auswirkungen ziehen Kreise und könnten sogar bis zur zwangsweisen Änderungen der Statuten der FN (Deutsche Reiterliche Vereinigung) und der FEI (Internationale Reiterliche Vereinigung) gereichen. So könnten zum Beispiel Springpferdeprüfungen (die vom Alter des Pferdes abhängig sind) um ein Jahr verlängert werden müssen.
Es gibt bei den Pferden aber auch eindeutige Krisengewinner. Die jungen vierjährigen Pferde nämlich, die sich erst in diesem Jahr anschicken sollten, ein Turnierpferd zu werden. Sie werden von ihren Züchtern und Besitzern nun erst einmal in Quarantäne gebracht – auf weite grüne Weiden.
Daher unser Tipp für den zukünftigen Pferdekauf: Augenmerk auf den Fohlenjahrgang 2016!
Wir fragten Susanne Lange, eine Expertin und Kennerin der Szene, bei aller Tragik der Reichweite an abgesagten Veranstaltungen, nach Vorteilen des reiterlichen Lockdowns:
„Was den Alltag bei den Reitern zuhause betrifft, dürfte sich so viel gar nicht geändert haben. Sie arbeiten wie gewohnt. Bilden auf ihren oft weitläufigen Anlagen ihre jungen Pferde aus und können sich recht frei bewegen. Und in der Tat: junge Pferde bekommen Zeit geschenkt. So wertvolle Zeit, die sich in Leistung, Charakter und Freude am Training auswirken kann. Ich erinnere mich noch gut, als es vor Jahren eine Winterpause im Turnierkalender gab. Eine Auszeit, von der Reiter und Pferde die letzten Jahre nur träumen konnten. Das ganze Jahr war durchgetaktet und die Wochenenden zu jeder Jahreszeit gespickt mit Wettbewerben. Natürlich möchte ich die weitreichenden Auswirkungen, die die Krise auf unseren Sport haben wird, nicht unter den Teppich kehren, aber darüber ist nun schon so viel geschrieben worden und jeder muss versuchen, seinen Schaden zu begrenzen. Worauf ich aber an dieser Stelle einmal ganz klar hinweisen möchte ist die Tatsache, dass durch den Lockdown keine Wettbewerbsvorteile entstehen. Denn auch in Reiterkreisen gilt: Wir sitzen alle in einem Boot und müssen uns den Umständen anpassen. Es gibt, zumindest in Europa, keine Sonderbehandlung und Ausnahme. Alle haben die gleichen Voraussetzungen und das lässt doch auf ein sportlich faires Comeback hoffen. Vielleicht erleben Pause und Entschleunigung auch im Pferdesport ein Revival. Dafür nähmen wir Richter gerne arbeitsfreie Wochenenden in Kauf, ich zumindest. Denn am Ende sollte eins zählen: unsere geliebten Pferde.“
Susanne Lange Tweet