Dalera und Jessica von Bredow-Werndl vor prall gefülltem Stadion in Riesenbeck (Foto: ©Stefan Lafrentz)

Die Dressur & Para-Dressur Europameisterschaften in einem Satz: Bestnoten, mitreißende Emotionen und ganz großer Sport in einzigartiger Umgebung – Tropenfeeling inklusive.

Hätte es ein besseres Statement für den Dressursport geben können, als die fast ausnahmslos harmonischen Ritte bei den diesjährigen Europameisterschaften? Personal Best in Reihe, eifrige Pferde und Gänsehautmomente bei Reitern und Zuschauern. Ein Potpourri für den Sport, den so viele Menschen lieben und der in den letzten Jahren Imageschäden hinnehmen musste. Doch dank Aufklärung, neuen Trainingsansätzen und Weitblick haben sich Trainer und Aktive gleichermaßen auf die Fahne geschrieben, den ramponierten Ruf der Reiterei nicht nur zu retten, sondern durch Aufklärung und Pferdeverstand wieder salonfähig zu machen. Da hätten diese bestens organisierten EM-Tage keine bessere Platform sein können. Man nehme die grandiose, pferdefreundliche Anlage von Ludger Beerbaum in Riesenbeck. Dann die Kombination mit den Para Athleten und ihren vierbeinigen „Bodyguards“ und zu guter Letzt gutgelaunte Aussteller, vollbesetzte Ränge und Sonne satt an allen Tagen. Voilà – Versailles muss sich anstrengen. 

Dressur und Spannung par excellence

Passt nicht? Und ob. Spätestens bei der Kür am Finaltag der Dressur EM wurden die Zuschauer mit einem Plot verwöhnt, wie ihn so ein Krimiautor nicht besser hätte planen können.

Jessica von Bredow-Werndl und Dalera tanzen zur vierten EM-Einzelgoldmedaille

Ausverkauftes Haus, Bombenstimmung, spannender Sport und Queen Dalera – Zutaten für einen großartigen Finaltag bei den FEI Europameisterschaften der Dressur- und Para-Dressurreiter 2023. Ob Portugal, Belgien, Frankreich, oder woher auch immer, jede Vorstellung wurde gefeiert, meist bereits auf der letzten Linie. Wie Frederic Wandres – der auf seinem Bluetooth heute leider einmal einen falschen Weg gewählt hatte, aber mit 84,568 Prozent trotzdem noch x. wurde – sagte: „Die Atmosphäre ist fantastisch!“ Den Zuschauern wurde aber auch einiges geboten, nicht nur von den Medaillengewinnern, sondern auch von den anderen Paaren. Zum Beispiel von der Schwedin Therese Nilshagen und ihrem 16-jährigen Routinier Dante Weltino OLD, die mit 86,132 Prozent einen neuen persönlichen Rekord verzeichneten und gefeiert wurden wie Sieger. Oder von Isabell Werth und Quantaz, denen einige Zuschauer Zwischenapplaus geben wollten für den Übergang aus der Piaffe- direkt in die Galopppirouette – und später auch wieder zurück. Gänsehautmomente! Standing Ovations, 88,407 Prozent, persönlicher Rekord, vorläufige Führung. Die Silbermedaillengewinner des Grand Prix Special, Dänemarks Nanna Skodborg Merrald und Zepter, konnten das – trotz Fehlern in den Einerwechseln – noch einmal toppen: 89,546 Prozent, auch dies ein persönlicher Rekord.

Als nächstes Auftritt der Olympiasiegerinnen und Titelverteidigerinnen, Jessica von Bredow-Werndl und Dalera. Es wurde still im Stadion. Dann erklangen die französischen Chansons, die die Kür der beiden begleiten und Dalera begann zu tanzen. Voller Leichtigkeit, voller Harmonie, voller Freude. Andächtiges Schweigen der Zuschauer. Aber dann kollektives Aufstöhnen, als ihnen ein Fehler in den Einerwechseln passierte. Den konnten sie auf der sogenannten Reservelinie allerdings wieder ausbügeln. Ohrenbetäubender Jubel, als die beiden nach einer Schlusslinie mit Piaffe und Passage wie aus dem Lehrbuch zum Halten kamen. Wie streng würden die Richter sein? Nicht allzu sehr. 72 mal stand die 10,0 im Protokoll. 92,818 Prozent wurden es, auch dies eine persönliche Bestleistung, natürlich die Führung. Aber noch standen sie nicht als Siegerinnen fest.

Nächstes Paar waren die beiden, mit denen die beiden im Vorfeld zu oft verglichen worden waren und die sie in den vorherigen Prüfungen so lässig hinter sich lassen konnten: die britischen Weltmeister, Charlotte „Lottie“ Fry und Glamourdale. Wie würde sich der Hengst heute zeigen? Antwort: stark! Rhythmische Passagen und Piaffen zu Queens „Another one bites the dust“. Einmal falsch angaloppiert. Ärgerlich! Aber dann die Galoppreprisen mit den ausdrucksvollen Verstärkungen und Wechseltouren des Rappen sowie Schwierigkeiten wie z. B. einer doppelten ganzen Traversale mit Pirouetten jeweils bei Durchreiten der Mittellinie. Und am Schluss noch einmal Piaffe und Passage zu „Another one bites the dust“ unter dem rhythmischen Applaus der Zuschauer. Das war gut, richtig gut! Würde es reichen? Nicht ganz, 92,379 Prozent, Rang zwei. Vorläufig.

Denn den Abschluss der Europameisterschaften 2023 in Riesenbeck machte die Vorstellung von Charlotte Dujardin und Imhotep, Zweite hier im Grand Prix für die Mannschaftswertung, Bronzemedaillengewinner des Grand Prix Special. Die beiden präsentierten eine Trabtour, bei der jeder einzelne Tritt synchron mit der Musik war. Weltklasse. Und das in allergrößter Selbstverständlichkeit dieses erst zehnjährigen Wallachs. Und das nicht nur hier. Imhotep, „Pete“, machte heute keinen einzigen falschen Schritt. Eine sensationelle Kür, am Ende wurde sie mit 91,396 Prozent und Bronze belohnt.

Damit stand auch fest: Jessica von Bredow-Werndl und Dalera haben ihr viertes EM-Einzelgold gewonnen, Silber ging an Charlotte Fry mit Glamourdale. Dreimal über 90 Prozent! Was für ein Abschluss dieser Europameisterschaft in Riesenbeck!

„Ein einzigartiges Maß an Inklusion“: FEI-Europameisterschaft Para-Dressur in Riesenbeck geht mit fünf Kürsiegern zu Ende

Einen Tag zuvor erlebten die Zuschauer den großen Kür-Tag der Para-Dressurreiter. Das Publikum genoss harmonische Ritte mit perfekt abgestimmter Musik. Einige Reiter-Pferd-Paare stellten nochmal persönliche Bestleistungen auf. „Dies war eine Woche mit bemerkenswertem Para-Dressursport, voller sportlicher Dramatik und Spannung. Aber was hätten wir auch anderes erwarten können, bei einer so hohen Qualität der Reiter und Pferde bei diesen Meisterschaften“, so Ronan Murphy, FEI Direktor Dressur, Para-Dressur und Voltigieren.

Athleten wie auch Pferde konnten sich dabei in Riesenbeck besonders wohl fühlen. Jeder Ort des Geschehens war barrierefrei errichtet, die Wege kurz. Die Pferde waren untergebracht in den luftigen Stallungen, aus denen sie durch ihr Boxenfenster stets das Treiben mitverfolgen konnten.

Die vielen Begegnungen zwischen Para-Dressur und Dressur waren dabei besonders wertvoll, um auch mehr von der Reitsportdisziplin für Menschen mit Behinderung zu erfahren. Eines der leuchtenden Beispiele aus der Disziplin ist der lettische Para-Dressurreiter Rihards Snikus sein. In seinem Heimatland ist er ein Star. Dabei kommt ihm auch zugute, dass seine zweite Leidenschaft das DJing ist. Die Equipechefin Para-Dressur Lettland, Daria Tikhomirova, wünscht sich diese Bekanntheit für den gesamten Para-Dressursport. Sie berichtet über ihren Reiter Rihards Snikus: „Seine letzte Party fand in einem großen Club in der lettischen Hauptstadt Riga statt, mit ziemlich vielen Leuten. Durch seine Leidenschaft für das Musik auflegen wissen jetzt viele Leute, wer Rihards ist. Eigentlich brauchen wir das Gleiche für unseren Sport, für die Para-Dressur. Denn wenn man populär wird und mehr Leute einen kennen, lernen sie auch die Persönlichkeit der Person kennen. Sie sehen, wer die Person wirklich ist und nicht nur, was ihr Handicap ist. Ein Wunsch wäre also, Para-Dressur insgesamt populärer zu machen.“

Die Europameisterschaften in Riesenbeck haben ihren Teil dazu beigetragen, folgt man dem Statement von Ronan Murphy, FEI Direktor für Dressur, Para-Dressur und Voltigieren: „Wir haben sehr viel positives Feedback von Athleten, Medien und Zuschauern über die Qualität der Anlage hier in Riesenbeck erhalten. Besonderes Lob gebührt den Veranstaltern für die Barrierefreiheit rund um den Veranstaltungsort, die ein einzigartiges Maß an Inklusion ermöglicht hat, und von der wir hoffen, dass sie in Zukunft als Vorbild für andere Pferdesportveranstaltungen dienen wird.“

Fazit von Turnierchef Karsten Lütteken:

Ich möchte mit einem herzlichen Dankeschön an euch alle beginnen: an die Medien, an die FEI, an mein Team und die Athleten. Ich habe das Gefühl, dass es eine echte Zusammenarbeit war. Viele Menschen sind an einer so komplexen Veranstaltung wie den Europameisterschaften beteiligt, aber es war eine großartige Zusammenarbeit zwischen der FEI und allen anderen. Das macht mich wirklich glücklich.

Über die Zuschauerzahlen berichtet Karste Lütteken: „In den letzten Tagen haben wir fast 12.000 Menschen gezählt, was mehr ist, als wir erwartet haben.“

Ronan Murphy FEI Direktor Dressur and Para-Dressur:

„Es war ein fantastisches Championat hier in Riesenbeck und mehr als das: Es waren die Menschen, Karsten und Ludger und das Team, aber auch alle unsere Mitarbeiter, die Helfer, die Freiwilligen, unsere Athleten. Es war eine wirklich fantastische Meisterschaft. Wie bei allen Dingen gibt es auch hier Herausforderungen, aber es kommt darauf an, wie man mit ihnen umgeht und sie löst. Und in dieser Woche muss ich sagen, dass wir alles, was auf uns zukam, mit dieser ‚Schaffen-wir-Attitüde‘ bewältigt haben. Und ich denke, dass es für unseren Sport ein Wendepunkt ist, ein solches Niveau zu haben, und wir müssen die Messlatte höher legen. Und das ist es, was wir für die Zukunft anstreben wollen.“

Und was sagt der Hausherr Ludger Beerbaum?

Ich bin sehr dankbar und glücklich, dass es uns möglich war, erfolgreiche Europameisterschaften auszurichten. Wir sind wirklich dankbar für die Gelegenheit und für alle, die geholfen, unterstützt und dazu beigetragen haben. Wir haben positives Feedback nicht nur von den Athleten, sondern auch von den Medien erhalten. 

Beerbaum Aussage zu Beginn der EM hätte besser nicht bewiesen werden können: „Wir können auch Dressur.“

Und wie …