Zeitenwende – das Wort des Jahres 2022 könnte nicht besser zum CHIO 2023 passen. Beim renommierten Reitsportevent in Aachen gab es einige Führungswechsel in den oberen Etagen und Sportler, Besucher, Sponsoren und Journalisten fragten sich im Vorfeld, ob die Ideologie der Traditionsveranstaltung bleibt oder ob frischer Wind für Veränderung steht. Eins vorweg: Beides ist der Fall.
Der CHIO Aachen (Concours Hippique International Officiel) ist eines der renommiertesten und bedeutendsten Reitturniere der Welt und hat eine lange Geschichte, die bis ins Jahr 1924 zurückreicht. Er trägt maßgeblich dazu bei, dass sich die Stadt Aachen im Hochsommer jährlich im hippologischen Ausnahmezustand befindet.
Die Ursprünge des CHIO Aachen gehen übrigens auf den Beginn des 20. Jahrhunderts zurück, als der berühmte deutsche Springreiter Toni von Hümmel das Bedürfnis nach einem internationalen Reitturnier erkannte. Er träumte von einem Event, bei dem Reiter aus verschiedenen Nationen gegeneinander antreten um ihr Können unter Beweis zu stellen.
1924 wurde dieser Traum endlich wahr: Der erste CHIO Aachen fand statt; zunächst nur als ein nationaler Wettbewerb. Doch schon bald gewann er internationale Anerkennung und zog Reiter aus aller Welt an.
Die Veranstaltung findet traditionell im Juli statt und zieht jedes Jahr Zehntausende von Zuschauern an, die die atemberaubenden Wettkämpfe und die außergewöhnliche Atmosphäre genießen. Das Turniergelände in Aachen ist spektakulär und bietet ideale Bedingungen für die anspruchsvollen Wettbewerbe.
Der CHIO Aachen ist nicht nur ein sportliches Ereignis, sondern auch ein gesellschaftliches Highlight in der Region. Er hat eine große wirtschaftliche Bedeutung für Aachen und stärkt die internationale Reputation der Stadt als Zentrum des Reitsports. Außerdem lockt die MEDIA NIGHT am offiziellen Eröffnungstag viele Prominente in die Aachener Soers.
„Jedes Jahr bleibt der CHIO Aachen eine Plattform, auf der Reiter ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und die Herzen der Menschen erobern. Die Geschichte dieses außergewöhnlichen Reitturniers ist von Leidenschaft, Engagement und sportlicher Exzellenz geprägt und wird auch in den kommenden Jahren weiterleben und neue Kapitel schreiben“, so äußert sich jedenfalls die KI über das Weltfest des Pferdesports. Und damit die klugen Chats recht behalten, kam mit diesem Jahr frischer Wind in die Organisationsriege des Turniers. Die langjährigen Vorstandsmitglieder Helen Rombach-Schwartz und Frank Kempermann gaben ihre Posten weiter an Philip Erbers und Birgit Rosenberg.
Frank Kempermann wurde beim CHIO 2022 gebührend vor ausverkauftem Haus veraschiedet (wir berichteten) und Birgit Rosenberg übernimmt nicht nur sein Amt im Vorstand des Aachen-Laurensberger-Rennvereins e.V., sondern tritt auch als Sportchefin des CHIO in seine Fußstapfen.
Der erste CHIO Aachen unter neuer Leitung liegt wenige Wochen zurück und Birgit Rosenberg nimmt sich Zeit für einen kleinen Rückblick:
MIKS: Was waren die größten Herausforderungen im Vorfeld der Veranstaltung?
BIRGIT ROSENBERG: Für uns war es sehr wichtig, dass nach dem großen personellen Umbruch im Vorstand Ende letzten Jahres die neuen Strukturen gut funktionieren und wir an keiner Stelle einen Qualitätsverlust haben. Deswegen sind wir sehr froh, dass alles sehr gut funktioniert hat und das ganze Team einen tollen Job gemacht hat.
MIKS: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Sponsoren, Ehrengästen und Aktiven?
BIRGIT ROSENBERG: Die Zusammenarbeit war hervorragend und das Feedback von allen Seiten sehr positiv. Insbesondere die großartige Atmosphäre auf dem Turniergelände und in den Stadien sowie die sportlichen Bedingungen wurden gelobt.
MIKS: Was war Ihr CHIO-Moment in diesem Jahr?
BIRGIT ROSENBERG: Es gab viele, aber ich muss sagen, dass der Sonntag nachmittag schon sehr besonders war. Zunächst der Sieg von Marcus Ehning im Rolex Grand Prix mit einer stilistisch so tollen Runde und dann die Verabschiedung von Ludger Beerbaum. Dass Ludger Aachen gewählt hat um sich vom Sport zu verabschieden und die Art wie er zum Publikum gesprochen hat und wie aber auch das Publikum sehr ergriffen war und ihn gefeiert hat, das war schon ein sehr besonderer CHIO-Moment in diesem Jahr.
Und natürlich auch der Besuch von Princess Anne, die den CHIO am Dienstag offiziell eröffnet hat.
Großbritannien als Partnerland des CHIO Aachen 2023
Tradition beim Weltfest des Pferdesports ist die Benennung eines Partnerlandes der Veranstaltung. In diesem Jahr war die Wahl auf Großbritannien gefallen und schon bei der Eröffnungsfeier legte sich im Sonnenuntergang ein Zauber der Monarchie über das mit über 38500 Zuschauern gefüllte Stadion.
Das Aachener Publikum erhob sich bereits in der ersten Minute der traditionellen Eröffnungsfeier von seinen Plätzen und begrüßte HRH Prinzessin Anne mit einem Meer aus schwenkenden Fahnen. Schön sei es, wieder in Aachen zu sein, sagte das Mitglied des britischen Königshauses an der Seite von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, bevor sie zur Begeisterung Zuschauer im weiten Rund, den CHIO Aachen 2023 in deutscher Sprache für eröffnet erklärte. Das Spalier auf dem Weg zur Ehrentribüne bildeten die Flaggen der am Weltfest des Pferdesports teilnehmenden Nationen, unter anderem getragen von der erfolgreichsten Dressurreiterin aller Zeiten, Isabell Werth, und dem britischen Springreiter Nick Skelton, der im Jahr 2013 den Rolex Grand Prix in Aachen gewann. Was folgte, war eine spektakuläre Eröffnungsfeier unter Flutlicht, die mit zahlreichen typisch britischen Akzenten zu begeistern wusste.
Media Night mit Anna Ermakova, Heino Ferch und vielen anderen
Es ist der berühmteste „Rote Teppich“ des Pferdesports, über den traditionell am Eröffnungsabend des CHIO Aachen die Gäste der Media Night schreiten. Gemeinsam mit Co-Gastgeber Hermann Bühlbecker, dem Alleininhaber der „Aachener Printen- und Schokoladenfabrik Henry Lambertz GmbH & Co. KG“ hatten die Organisatoren am Dienstag zum traditionellen Gala-Abend geladen.
Eines der begehrtesten Foto-Motive des Abends war die Let’s Dance Gewinnerin 2023, Anna Ermakova. Die 23-jährige Tochter von Tennis-Legende Boris Becker strahlte gemeinsam mit ihrer Mutter Angela Ermakova den Kameras entgegen, ehe sie herzlich von Hermann Bühlbecker und Stefanie Peters, der Präsidentin des Aachen-Laurensberger Rennvereins, begrüßt wurde. Schauspieler Heino Ferch freute sich ebenso wie Schwimm-Legende Franziska van Almsick oder die ehemalige Ski-Fahrerin Maria Höfl-Riesch zu Gast zu sein. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst zeigte sich vor seinem großen Auftritt in der Eröffnungsfeier begeistert: „Das Land Nordrhein-Westfalen hat ein Pferd im Wappen und wir haben das größte Reitturnier der Welt hier in Aachen. Das passt wunderbar und ich komme immer wieder gerne hierher.“
Karma auf dem Pferderücken oder: Mein CHIO-Moment 2023
Alle sportlichen Highlights aufzuzählen würde hier den Rahmen sprengen (hier gibt es sie nachzulesen), aber an dieser Stelle möchte ich meinen ganz persönlichen CHIO-Moment 2023 Revue passieren lassen. Es war Freitagnachmittag, eine Jagdspringprüfung stand auf dem Programm. Nicht alltägliche Hindernisse wie Wälle und Gräben zeichnen diese Prüfung aus. Viele Reiter nutzen diese Chance, ihren Nachwuchspferden diese Art Hindernisse zu „zeigen“. So wohl auch Rodrigo Pessoa (u. a. Olympiasieger). Beherzt ritt er mit seinem LORD LUCIO auf den großen Teich mitten im Springstadion zu, als dieser plötzlich wie angewurzelt stehenblieb und keinen einzigen Fuß in das knietiefe Wasser setzen wollte. Als der Holsteiner zum wiederholten Mal rückwärts trat, wurde Pessoa regelkonform abgeläutet und durfte den Parcours nicht fortsetzen. Der nächste Reiter war schon eingeritten. Jur Vrieling auf EL ROCCO. Er trabte flott zum Teich, setzte sich vor LORD LUCIO und nahm seinen Vierbeinigen Konkurrenten sozusagen an den Huf und zeigte ihm so, dass keine Gefahr gedroht hatte. Als sich die beiden Reiter auf ihren Pferden mitten im Teich bei den Händen nahmen, kamen die Zuschauer aus den Jubeltiraden nicht mehr heraus. Das fachkundige Publikum weiß genau, dass der Einritt ins Stadion für Reiter und Pferd ein Moment höchster Konzentration ist und jede Unterbrechung vermieden wird. Umso mehr wusste man die Jursche Geste zu würdigen. Und auch das Karma hat den Niederländer nicht verlassen: EL ROCCO und Jur Vrieling entschieden das rasante Springen am Ende für sich. Die Euphorie der Zuschauer war magisch.
Zeitenwende auch im Sattel – Ludger Beerbaum sagt Tschüß
Ludger Beerbaum. Ein Name, der mit dem internationalen Pferdesport der vergangenen Jahrzehnte so eng verknüpft ist, wie kaum ein anderer. Ein Name, der weltweit auf unzähligen Siegerlisten vermerkt ist. Beim CHIO Aachen 2023 gab er sein Karriereende bekannt.
40.000 Zuschauer im Aachener Hauptstadion wurden Zeuge vom offiziellen Ende der sportlichen Karriere von Ludger Beerbaum. Eine Karriere, die 1985 im irischen Dublin mit einem ersten Einsatz im deutschen Nationenpreis-Team begann. 133 Starts mit der Equipe seines Landes und unglaubliche 24 Championats-Teilnahmen sollten folgen. Die Bilanz: 20 internationale Medaillen, 12 davon aus Gold, mit dem Einzel-Olympiasieg 1992 in Barcelona als Höhepunkt. Die spanische Metropole war auch jener Ort, an dem sich Ludger Beerbaum im Jahr 2016 aus der deutschen Springreiter-Equipe verabschiedete. Der Reiterei blieb er aber erhalten, er nahm weiterhin an internationalen Turnieren teil. Der Rolex Grand Prix beim CHIO Aachen, an dem er in seiner aktiven Zeit unglaubliche 35 Mal teilgenommen hat, sollte seine letzte Prüfung sein. Das hat er so entschieden – und mit nur einem Abwurf sein Leistungsvermögen ein letztes Mal eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Mit 60 Jahren wolle er nicht mehr Turniere reiten, hatte der Springreiter vor ein paar Jahren gesagt. Und sogleich schmunzelnd hinzugefügt. „Aber ich habe das nicht unterschrieben.“ Am 2. Juli 2023, wenige Woche vor seinem 60. Geburtstag am 26. August war es dann aber soweit. Und eine bessere Bühne als den CHIO Aachen, jenem Ort, den er mit so vielen großartigen Erfolgen und Emotionen verbindet, hätte es für die letzte Ehrenrunde von Deutschlands erfolgreichsten Reiter aller Zeiten nicht geben können. Dreimal gewann Beerbaum auf dem Heiligen Rasen den Rolex Grand Prix, sechsmal triumphierte er mit der deutschen Equipe im Mercedes-Benz Nationenpreis. Und so bildete das vollbesetzte Hauptstadion den perfekten Rahmen für jene Worte, die Ludger Beerbaum an das Publikum richten wollte, das ihn über Jahrzehnte hinweg bejubelt und zu großen Erfolgen getragen hatte: „Aachen ist einzigartig. Ihr alle hier habt mich so viele Jahre mit eurer Begeisterung getragen und bei Siegen und Niederlagen immer hinter mir gestanden“, sagte er, während sich applaudierende Menge von ihren Plätzen erhob. Und dann fügte Ludger Beerbaum noch ein an seine Mäzenin Madeleine Winter-Schulze sowie seine langjährige Pflegerin Marie Johnson gerichtetes „Danke für alles“ hinzu, bevor er sich auf seine letzte Ehrenrunde begab, bei der er noch einmal die von ihm angesprochene so einzigartige Aachener Atmosphäre genießen durfte: Standing Ovations für eine einzigartige Karriere und ein Meer aus weißen Taschentüchern für einen Pferdemann, der in Deutschland Reitsportgeschichte geschrieben hat.
Auf seinen letzten Start in der Soers angesprochen sagte Beerbaum schmunzelnd: „Ich habe mich heute gefühlt wie ein alter Hund, der noch einmal mit zur Jagd darf.“
Na, dann sind wir doch alle gespannt, wie jung der „alte Hund“ als Veranstalter der nächsten Global Champions Tour Etappe auf seiner eigenen Anlage werden wird (20. bis 23. Juli) – und ob wir ihn als Zuschauer beim CHIO 2024 wiedersehen werden.
SAVE THE DATE: 28. Juni bis 7. Juli 2024
Die Zeitenwende in den eigenen Reihen ist geglückt. Der Tenor von Aktiven, Zuschauern und Journalisten ist eindeutig: „Das war einer der besten CHIOs, den wir je erlebt haben.“