Zeitgemäß? Mitnichten. Rebecca – Das Musical bedient Klischees des letzten Jahrhunderts und wurde wegen seines großen Erfolgs in Wien um eine halbe Spielzeit verlängert. Wie passt das zusammen?
Ganz einfach: weil Kunst zeitlos ist. Die Vereinigten Bühnen Wiens haben entschieden, dass REBECCA noch bis Januar 2024 im Wiener Raimund Theater aufgeführt wird; aufgrund der Rekordsumme von bereits über 200.000 verkauften Tickets und fast täglich ausverkauften Vorstellungen. Wunderbar! Und das mit einem Stück, welches, im Kontext seiner Entstehungszeit betrachtet, einige Klischees des damaligen Jahrhunderts bedient, die mittlerweile kaum noch akzeptabel sind (Stichwort Gleichstellung) – ob im gleichnamigen Roman (er erschien 1938) von Daphne die Maurier oder in der Musical Version von Michael Kunze (Buch und Liedtexte) und Sylvester Levay (Musik). Und dennoch oder gerade deshalb, ist das Musical äußerst erfolgreich und begeistert ein generationsübergreifendes Publikum.
Rebecca im Raimund Theater
Es ist mein erster Besuch im 1893 eröffneten Raimund Theater (Namensgeber Ferdinand Raimund war ein österreichischer Schauspieler und Dramaturg) im 6. Wiener Bezirk. Der rot bestuhlte Saal mit Parkett und zwei Rängen füllt sich fast bis auf den letzten Platz und bringt mich in Theaterstimmung noch bevor sich der Vorhang öffnet. Und mit den ersten Klängen des außergewöhnlichen Orchesters der Vereinten Bühnen Wien (am 30. April unter der Leitung von Peter Bíró) entführt mich Nienke Latten als Protagonistin „ICH“ in das Manderley ihrer Erinnerung. Zeitsprung – in einem Luxus Hotel in Südfrankreich lernt sie als junge Gesellschafterin den Wittwer Maxim de Winter kennen.
Nienke Latten als „ICH“
Zart und schüchtern wirkt die junge Niederländerin zunächst als Gesellschafterin der reichen Amerikanerin Edith van Hopper. Durch einen Zufall lernt sie den Wittwer de Winter kennen und verliebt sich sofort in ihn. Mit klarem Sopran und viel Spielfreude macht „ICH“ sich sich auf den Weg zu Anerkennung und Mut. Nienke Latten ist vor allem bekannt durch ihre Rolle als Jasmin in ALLADIN. Sie spielte die orientalische Prinzessin sowohl in Hamburg als auch in Stuttgart.
„Kavalier“ der alten Schule?
Maxim de Winter, ein für mich zunächst schwieriger Charakter der britischen Oberschicht. Zwar charmant, doch arrogant. „Rettet“ die schüchterne „ICH“ aus der Unterschicht indem er sie bittet seine Frau zu werden. Doch das Publikum verzeiht, dass seine Charakterzüge und Verhaltensweisen in vielen modernen Gesellschaften nicht mehr akzeptabel sind. Warum? Nun, zunächst, weil Literatur und Kunst uns oft Charaktere präsentieren, die nicht unbedingt als Vorbilder oder Helden konzipiert sind, sondern als komplexe und vielschichtige Figuren, die die menschliche Natur in all ihren Facetten darstellen. Maxim de Winter ist ein solcher Charakter, der als Produkt seiner Zeit und seines sozialen Hintergrunds verstanden werden kann.
Mark Seibert ist Maxim de Winter
Aber vor allem ist das Publikum konziliant, weil es Mark Seibert ist, der die Rolle verkörpert und vielen Musicalfans auf der ganzen Welt bekannt ist. Somit ist er mit seinen Spielpartnerinnen Nienke Latten und Willemijn Verkaik in bester Gesellschaft. Kleiner Teaser: Eine der beiden wird mich im Lauf des Stücks noch besonders faszinieren.
Magisch: Bühnentechnik und Kostüm
Scheinbar mühelos gelingt es der Kombination aus fantastischem Ensemble, detailgenauen Kostümen und Requisiten der Zwischenkriegszeit und einem nostalgischen Bühnenbild mit moderner Technik (z. B. Videoprojektionen), die Zuschauer an die mondäne Côte d’Azur, in die gediegenen Räume von Manderley und an die rauen Klippen Britanniens zu bitten und der Mischung aus Krimi und Liebesgeschichte ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken.
Broadway ohne REBECCA
Unvorstellbar, dass es dieses Stück bis heute nicht an den Broadway geschafft hat. Obwohl es schon einmal kurz davor stand, wurde die Produktion vor der Fertigstellung zurückgezogen. Es war im Jahr 2012, als ein großer Betrugsskandal aufgedeckt wurde. Ein angebliches Netzwerk an Investoren existierte nicht und die Produzenten waren um mehrere Millionen Dollar betrogen worden. Der Skandal um REBECCA war ein schwerer Schlag für die Produzenten und das Kreativteam des Musicals.
Deutschland, Österreich, Schweiz, Finnland, Japan und Korea – überall wurde und wird das Musical aufgeführt. Bis zum heutigen Tag jedoch nicht am Broadway.
You make my day, Willemijn Verkaik
Doch zurück nach Manderley: Die neue Mrs. de Winter, „ICH“, hat keinen leichten Start in ihrem neuen Zuhause. Vor allem die Haushälterin Mrs. Danvers (Willemijn Verkaik), die es mit ihrer Loyalität zu Maxims verstorbener Frau (Rebecca) wohl übertreibt, schüchtert sie ein und führt sie intrigant vor. Und doch ist es gerade dieses „bad girl“ des Stücks, welches mich in seinen Bann zieht. Und das nicht, weil Mrs. Danvers so verbittert, getrieben und zerstörerisch ist. Oder weil ihr Ihr Kostüm, ein schwarzes hochgeschlossenes Kleid, Stärke und Beständigkeit symbolisiert , durch ihre Trägerin aber gleichzeitig angsteinflößend wirkt. Oder die helle Strähne im strengen, grauen Nackenknoten bis zum Schluss auf einen Wandel zum Guten hoffen lässt. Vergeblich?
Nein, es ist die kraftvolle, beeindruckende Art, wie die Niederländerin Willemijn Verkaik diese tragische Figur verkörpert. Sie lebt mit jeder Faser des Körper und mit einer ausdrucksstarken Mimik diese anspruchsvolle Rolle. Von ihrer gewaltigen Mezzosopran Stimme und gesanglichem Können ganz zu schweigen. Kurz: Willemijn Verkaik als Mrs. Danvers ist ein Gesamtkunstwerk.
Willemijn Verkaik verdankt ihren Ruhm auf den Musicalbühnen der Welt Rollen wie Elphaba in WICKED, Elisabeth im gleichnamigen Musical, Donna in MAMMA MIA und vielen mehr. Bisher war Elphaba, die grüne Hexe, ihre Paraderolle. Mrs. Danvers steht in den Startlöchern, um in Zukunft das Rennen zu machen.
Nebenrollen, die keine sind
Und dann gibt es herrliche Nebenrollen im Stück, die eigentlich keine sind und sich als typische Publikumslieblinge empfehlen. Witzig, durchtrieben, mitfühlend; die Bandbreite ist groß. Mrs. van Hopper (Annemarie Lauretta), eine schillernde, reiche Amerikanerin. Jack Favell (Boris Pfeifer), Rebeccas Liebhaber. Beatrice (Silke Brass-Wolter), Maxims Cousine. Sie alle ebnen oder stören den Weg der „ICH“ von der naiven, jungen Frau zur selbstbewussten neuen Mrs. de Winter. Was mir besonders gefällt: Jeder von ihnen hat einen Solopart im Stück. Und beim Schlussapplaus werden die Darsteller von den Klängen des jeweiligen Soli zur mehr als verdienten Anerkennung des begeisterten Publikums begleitet.
Muss ich erwähnen, dass der ganze Saal stehend applaudiert?
Gegen fünf Uhr verlasse ich das Theater. Wien und warme Sonnenstrahlen warten. Ich laufe bis zum Karlsplatz und bewundere die prunkvollen Fassaden, lausche dem Wiener Akzent der Menschen und freue mich auf die nächsten Tage in Österreich. Doch mein Lächeln im Gesicht, was noch bis spät in die Nacht bleiben wird, verdanke ich Bewohnern und Dienerschaft von Manderley.
Szenenfotos: VBW, © Deen van Meer
Mit diesem Ensemble ist REBECCA noch bis zum 24. Juni im Raimund Theater zu erleben. Der Cast für die kommende Spielzeit wird noch bekannt gegeben.
Fest steht, wer Mrs. „Willemijn“ Danvers erleben möchte, sollte sich bis Juni auf den Weg nach Wien machen …
Die Handlung
Das Musical REBECCA dreht sich um eine junge Frau („Ich“), die als Begleiterin der reichen und verwitweten Mrs. van Hopper nach Monte Carlo reist. Dort lernt sie den attraktiven und wohlhabenden Witwer Maxim de Winter kennen und verliebt sich in ihn. Sie heiraten und reisen in das Anwesen von Maxim, Manderley. Dort wird sie jedoch von der Haushälterin Mrs. Danvers, die in ihrer Loyalität zu Maxims verstorbener Frau Rebecca übertrieben ist, eingeschüchtert und vorgeführt. Die Spannungen erreichen einen Höhepunkt, als ein Boot mit Rebeccas Leiche entdeckt und Maxim de Winter unter Mordverdacht gestellt wird. „Ich“ und Maxim halten zusammen, decken die Wahrheit auf und entkommen der drohenden Strafe. Doch Manderley scheint nicht mehr zu retten …