Großes Ensemble im Wuppertaler Opernhaus (©Matthias Jung)

Wenn der Teufel französisch singt und die Moral Pause macht

Wenn Charles Gounod wüsste, was aus seinem „Faust“ geworden ist, er würde vermutlich schmunzeln – und Méphistophélès einen extra Applaus gönnen. In der neuen Inszenierung am Theater Wuppertal zeigt sich einmal mehr, wie überraschend lebendig eine Oper über einen alternden Gelehrten, einen charmanten Teufel und eine tragisch Verführte sein kann. Und das alles in fließendem Französisch mit dramatischem Tremolo.

Die Geschichte der Oper geht zurück auf das Jahr 1859, als Gounod Goethes Klassiker eine französisch-opernhafte Wendung verpasste. Wo der deutsche Dichterfürst noch tief in metaphysischen Gedanken über Erkenntnis und Dasein versunken war, machte Gounod kurzen Prozess – im wahrsten Sinne. Statt Welterkenntnis gibt es Verführung, statt metaphysischem Grübeln ein paar sehr handfeste Entscheidungen. Und der Teufel? Singt mit Bassbariton, trägt Anzug und Rapunzel wäre neidisch auf seine Haare.

Der Wuppertaler „Faust“ folgt dieser Tradition mit viel Stil und einer Prise Ironie. Die Bühne bleibt dabei angenehm reduziert: kein überladener Symbolismus, sondern klare Bilder, zentriertes Licht und bedeutungsvoller Schatten. Der Pakt mit dem Teufel wird zur großen Geste, die Liebe zur jungen Marguerite zur bittersüßen Ballade mit fraglichem Ausgang. Gounods Musik liefert den perfekten Soundtrack für das moralische Chaos – mal himmlisch schwebend, mal höllisch dröhnend, welches das Sinfonieorchester Wuppertal unter der Leitung von Johannes Witt bzw. Jan Michael Horstmann (Dirigat am 5. April) wunderbar umsetzt.

Dass Faust ausgerechnet an der eigenen Sehnsucht scheitert, macht ihn nicht nur zur tragischen Figur, sondern auch zum zeitlosen Jedermann. Die Oper zeigt einen Menschen, der glaubt, das Leben nachholen zu können, indem er alles aufs Spiel setzt. Es ist die alte Geschichte vom Tausch – Jugend gegen Seele, Lust gegen Schuld, Augenblick gegen Ewigkeit. Und sie natürlich funktioniert sie heute noch.

Zynismus ist der zweite Vorname von Méphistotélès – zumindest solange, bis Marguerite im Finale alle moralischen Register zieht und ihn in seine Schranken weist. 

Der gute alte Doktor Faust gibt den perfekten Spielball für den Teufel. Dieser wirf ihn mit Drive in sein Schicksal und er prallt ab, an den Tücken des Lebens und der Liebe. 

Besonders glänzt der Abend durch eine Marguerite (Margaux de Valensart), die alle Gemütslagen der jungen Frau so authentisch darbietet, dass die Figur eins wird mit dem  himmlischen Gesang der belgischen Sopranistin.

Am ersten Wochenende im April waren Almas Svilpa als Méphistotélès und Yoonki Baek als Gäste in den Rollen des Méphistotélès und Doktor Faust zu sehen. Eine stimmgewaltiges Duo, was die Wuppertaler Inszenierung akzentuierte. Das grandios besetzte Ensemble mit Edith Grossman und Vera Ergorova (u.a.) schließt neben den beiden bekannten Solistinnen auch aufstrebende Nachwuchstalente des Opernstudios NRW ein.

Regisseur Matthew Ferraro setzt auf klare Bilder und psychologische Schärfe. Sein „Faust“ ist kein romantischer Träumer, sondern ein Mann am Abgrund, der sich verzweifelt an den letzten Strohhalm klammert – jugendliche Verführung inklusive.

Durch Opernchor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen wird die Wucht der menschlichen Abgründe und der geschichtlichen Ereignisse noch eindringlicher vor Augen und Ohren geführt. 

Bei stehenden Ovationen des gesamten Publikums bleibt ein Opernabend, der beweist: Die großen Fragen des Lebens lassen sich (wunderbar) gesungen zwar nicht besser beantworten, aber durchaus mit einem teuflischen Grinsen. 

Margaux de Valensart als Marguerite

Noch bis Ende der Spielzeit bringt Doktor Faust die unschuldige Marguerite im Wuppertaler Opernhaus regelmäßig in Schwierigkeiten ... à la jeunesse! (Foto: ©Matthias Jung)