Die andere Vater-Tochter-Geschichte

Andreas Sawatzki – die Rothaarige mit den Sommersprossen, einem breiten Lächeln und markantem Gesicht. So beschrieben wüssten viele Fernsehzuschauer sofort, von wem die Rede ist.

Die meisten wissen auch, dass die Schauspielerin außerdem Autorin ist und die Familie Bundschuh, bei denen sie selbst als Gundula eine Hauptrolle spielt, aus ihrer Feder stammt. Umso gegensätzlicher ist ihr neues Buch BRUNNENSTRASSE, obwohl oder gerade weil es vom wahren Leben erzählt. Von ihrem Leben, genauer von ihrer Kindheit bis in die Teenagerjahre. Als uneheliche Tochter eines einflussreichen Vaters (Günter Sawatzki war Journalist) erzählt die Autorin vom Zusammenleben mit diesem gebildeten Mann, der als sie, noch keine zehn Jahre alt, an Alzheimer erkrankt. Die Umstände bedingen, dass sie sich teilweise allein um den immer unberechenbarer werdenden Mann kümmern muss und ihre Welt zusammenschrumpft auf ein Zusammenleben unter extremen Bedingungen.

Andreas Sawatzki bleibt bei ihrem Bundschuh-Stil und nennt die widersinnigsten Dinge beim Namen – schnörkellos, so wie sie sind.  Nur, dass die Kuriositäten in der Brunnenstraße nicht zum Lachen sind. Es ist beeindruckend, wie sich die 1963 geborene, erfolgreiche Frau in den Teenager von damals hineinversetzen kann. Es scheint, als wären die Gefühle von damals noch so präsent in ihrem Inneren. Auch von den damaligen „Begleiterscheinungen“ berichtet die Autorin detailreich.  Alle, die ebenso in den Siebzigerjahren groß geworden sind, erinnern sich mit ihr an Lux Seife, Signal Zahnpasta und das lustige HB-Männchen aus der Werbung.

Andrea Sawatzki erzählt auf knapp 170 Seiten über den Alltag mit ihrem Vater und warum sie sich oft alleine um den kranken Mann hat kümmern müssen. Sie stellt ihn niemals bloß, obwohl sie den Leser mit in die Intimsphäre nimmt und sie dabei vielleicht sogar noch schont. Es ist ein Seiltanz zwischen Unverständnis für die Situation an sich und die Faszination dessen, was über Jahre ertragbar ist. Und so bleibt es kaum zu glauben, dass nach dieser fordernden Jugendzeit eine solch humorvolle, pointierte und lebensfrohe Frau, Mutter und Partnerin aus Andrea Sawatzki geworden ist. Oder ist sie all das vielleicht gerade deshalb? 

Unser Fazit: Das Buch ist ein Muss für alle Fans der Bundschuhs, weil es so anders und doch von gleicher Tonalität ist. Für alle, die sich selber mit dem Thema Alzheimer auseinandersetzen müssen/wollen ist es ein Geschenk – allein weil es eindrucksvoll vermittelt, dass diese Krankheit vor keinem Familiengefüge Halt macht und jeder auf seine Weise über seine Grenzen hinaus wachsen kann. Es ist eine Zeitreise in die Siebziger und entführt in eine Welt, die längst vergangen scheint und doch erst ein paar Jahrzehnte vergangen ist. Kurz: absolut gesellschaftsfähig.

 

© Jeanne Degraa

Andrea Sawatzki, geboren 1963, gehört zu den bekanntesten deutschen Film- und Fernsehschauspielerinnen. Nach ihrem Spiegel-Bestseller „Ein allzu braves Mädchen“ und der turbulenten Weihnachtskomödie „Tief durchatmen, die Familie kommt“ erschienen mittlerweile vier weitere Bücher um die Familie Bundschuh. Alle fünf Bände wurden für das ZDF verfilmt. Andrea Sawatzki lebt mit ihrem Mann, dem Schauspieler und Autor Christian Berkel, ihren gemeinsamen zwei Söhnen und einem Hund in Berlin.

Klappentext:

Andrea Sawatzkis ungeschminkter autofiktionaler Roman

Keine Kindheit wie jede andere. Eine, die Andrea Sawatzki wie in einem Kurzfilm einfängt: 1971 wird der Journalist Günther Sawatzki von seiner Stelle in London abgezogen und geht zu seiner Familie nach Deutschland zurück. Aber er will sein altes Leben aufgeben und mit seiner Geliebten zusammensein, mit der er eine Tochter hat: Andrea. Doch bald stellt sich heraus, dass dieser weltläufige und gebildete Mann schwer krank ist. Das Geld wird knapp, die Mutter muss wieder als Nachtschwester arbeiten, und die zehnjährige Andrea kümmert sich um den dementen Vater, der launisch, ungeduldig und jähzornig ist. Es entspinnt sich ein geheimes Leben zwischen den beiden von Nähe und Entfremdung, Liebe und Überforderung. Bis zu seinem katastrophalen Ende.

Ein eindringlicher und sehr persönlicher Roman der Bestsellerautorin