Einen tausendseitigen Roman in ein neunzigminütiges Theaterstück zu transformieren, ist gelinde gesagt schier unmöglich. Und doch ist es Nicolas Charaux im Wuppertaler Opernhaus gelungen.
ULYSSES nach dem Roman von James Joyce in eine Bühnenfassung zu zwängen, erfordert vom Publikum eine gewisse Lesart des entstandenen Konstrukts. Doch wer sich einlässt auf einen rastlosen Tag im Leben des Leopold Bloom im Zeitraffer und durchsiebt mit Normalität, erlebt Unterhaltung auf hohem Niveau. Denn die fünf Akteure verstehen die Mischung aus Einerlei, Irrungen und Konflikten bis hin zu derer Zuspitzung glaubhaft darzustellen. Bühnenbild und Kostüme wirken von puristisch bis phantastisch und setzen Kenntnis des Romans nahezu voraus. Doch auch ohne das Joyce Werk in Gänze zu kennen, kommt der geneigte Zuschauer auf seine Kosten. Projizierte Sätze lassen keinen Zweifel über die jeweilige Situation und selbst die genaue Stunde wird dem Publikum angezeigt.
Heldentum des Jedermann
Odysseus steckt in jedem von uns – das könnte eine Message sein, die das Stück vermitteln möchte. Hat der Normalo Leopold Bloom doch auf den ersten Blick nicht viel mit DEM Helden der Helden Odysseus zu tun. Oder gerade doch? Weil er sich durch die Stürme des Lebens manövriert und trotz oder gerade wegen seiner Mittelmäßigkeit zwischenmenschliche Interaktionen in den Fokus rückt und diese eher schlecht als recht bedienen kann?
Spiegel der Gesellschaft
Oder wollte Nicolas Charaux kurzerhand jedem und allem einen Spiegel vorhalten? Den Männern, die tagaus tagein hinaus gehen um sich selbst zu beweisen, wie notwendig sie sind? Den Frauen, die erkennen, dass sich ihre mentale und physische Komplexität wohl nicht mit dem Männlichen auf Augenhöhe verbinden lässt? Oder dem großen Ganzen, das fortan durch Raum und Zeit mit allen Mitteln der Kunst begriffen werden will? Spannend. Denn die Beantwortung dieser Fragen ist auf das Bühnenstück bezogen so heroisch, dass sich nur noch mehr waghalsige Unterstellungen Bahn brechen.
Mainstream entdeckt
Molly Blooms innerer Monolog dürfte das bekannteste Kapitel im Roman von James Joyce sein. Und auch bei den Wuppertaler Bühnen sticht diese Szene hervor. Nicht nur das überraschende Setting spornt die Aufmerksamkeit in den letzten Minuten an, vor allem die künstlerische Darbietung zieht das Publikum in ihren Bann. Julia Meier und Silvia Munzón López kreieren eine intime Atmosphäre und arrangieren das Wirrwarr der Worte zu einem fulminanten Einblick in das Seelenleben einer desillusionierten Frau, die gestern wie heute existieren mag – ob in Dublin oder Wuppertal.
Ulysses und seine Helden
Thomas Braus, Julia Meier, Silvia Munzón López, Alexander Peiler, Konstantin Rickert. *** Inszenierung: Nicolas Charaux Bühne und Kostüm: Albert Frühstück Dramaturgie: Maie-Philine Pippert Foto: B. Hickmann * Noch bis zum Sommer steht ULYSSES in Wuppertal auf dem Spielplan. Mehr Infos und Tickets gibt es beim Klick auf das Foto ...