Ein hochkarätiges Ensemble, eindringliche Musik und eine Musical-Geschichte, die es so nicht oft zu sehen gibt, kann nur eins bedeuten: ausverkauftes Haus. So feierte Sweeney Todd, ein Mords-Musical von Stephen Sondheim, Premiere im Theater Dortmund. Das Publikum wusste bereits im Vorfeld, dass die Titelrolle von Kammersänger Morgan Moody verkörpert wird, das Ensemble der Folkwang Universität mitspielt, der hauseigene Opernchor mit seiner außerordentlichen Präsenz auftritt und dass die Dortmunder Philharmoniker mit ca. 40 Musikern den Ton angeben.
Diese Fakten allein sind schon Grund genug, mindestens eine der insgesamt 18 Vorstellungen zu besuchen. Den Zuschauer erwartet eine fulminante Inszenierung (Gil Mehmert) der Geschichte von einem gewissen Sweeney Todd, welcher ursprünglich in den 1840er Jahren als Groschenroman (The String of Pearls) in einer Wochenzeitschrift erschienen war.
Kammersänger Morgan Moody verkörpert den teuflischen Barbier mit trauriger Geschichte (er verlor Frau und Kind durch Richter Turpins Intrigenspiel) so facettenreich, dass der Zuschauer hin- und hergerissen ist zwischen Täterschaft und Heldentum. Um Moodys künstlerisches Können in Worte zu fassen, bräuchte es einen eigenen Artikel; doch in einem Satz: Die Performance des Opernsängers als Titelfigur eines Musicals (genau genommen ist Sweeney Todd eine Mischung aus Operette und Musical) ist grandios.
Todds Kumpanin in den Straßen Londons ist Mrs. Lovett. Musicalstar Bettina Mönch spielt diese etwas durchgeknallte Lady mit Leib und Seele. Ihre textlastige Rolle schreckt sie nicht, im Gegenteil. Nonchalant singt sie die vielen Worte dem Publikum entgegen, setzt ihr Werkzeug – ihren großen, schlanken Körper, die wandlungsfähige Mimik und die stimmliche Vielfalt – perfekt ein und schafft so eine weibliche Hauptrolle die ihresgleichen sucht.
Mit Jonas Hein und Harriet Jones stehen zwei weitere musikalische Größen auf der Besetzungsliste. Sie verkörpern Jugend und Tatendrang, sind unverdorben und auf der Suche nach der großen Liebe.
Julius Störmer, Florian Sigmund, Fritz Steinbacher und Andreas Laurenz Maier komplettieren die Hauptcast ganz wunderbar und sorgen sowohl für humorvolle Unterhaltung und – Letzterer – für tiefe Abscheu. Ein wahres Wechselbad der Gefühle.
Nina Janke gibt der Randfigur (eine Bettlerin) so viel Tiefgang und berührende Verletztheit, dass in den Köpfen der Zuschauer eine Lebensgeschichte dieser verlorenen Seele entspinnt.
Die Darsteller der Folkwang Universität in Essen sind eine grandiose Bereicherung für das Stück. Ob als gut situierte Einwohner Londons oder als Patienten einer psychiatrischen Anstalt überzeugen sie durch ihre Talente; musikalisch und schauspielerisch gleichermaßen.
Der Opernchor vom Theater Dortmund ist fast die ganze Zeit auf der Bühne und verkörpert das Volk im London des 19. Jahrhunderts. Unauffällig und doch so präsent; unbedingt gelungen. Von der Stimmgewalt ganz zu schweigen.
Die Dortmunder Philharmoniker halten eine dramatische Spannung während des Stücks und tragen das Publikum von einem emotionalen Moment zum nächsten.
Das Bühnenbild (Jens Kilian) macht einfach Spaß. Für einige Details braucht man tatsächlich bis zum Ende des zweiten Aktes, um sie in Gänze zu erfassen. Was keinesfalls ein Mangel ist, sondern überraschende Spannung liefert.
Die Kostüme (Falk Bauer) versetzen nicht nur ihre Träger ins Londoner Zeitalter der Industrialisierung, sie nehmen das Publikum mit auf eine Zeitreise und bestechen durch Authentizität und detailreiche Hingucker.
Sweeney Todd im Theater Dortmund ist ein paradoxes Feuerwerk für die Sinne. Ein teuflischer Barbier, der mordet und dennoch Herzen gewinnt. Eine mörderische Bäckerin mit Personlality. Ein junges Liebespaar im Rausch der Gefühle. Abscheuliche Antagonisten und ein Ende, dass zu Tränen rührt.
Man sieht sich in Londons Fleet Street (Achtung, Männer! Lebensgefahr.)
Zur Handlung
Nach 15 Jahren kehrt der Barbier Benjamin Barker in seine alte Heimat London zurück. Seine Frau hält er für tot, seine Tochter ist mittlerweile in der Obhut seines Erzfeindes Richter Turpin, der verantwortlich war für Barkers jahrzehntelange Verbannung. Unter dem Namen Sweeney Todd begeht der Barbier fortan einen brutalen Rachefeldzug, indem er all seinen Kunden mit der Rasierklinge die Kehle aufschlitzt. Assistiert wird ihm hierbei von der Bäckerin Mrs. Lovett, die die menschlichen Überreste zu einer neuen Fleischpasteten-Zutat verarbeitet, welche ihrem Geschäft schon bald zu einem rasanten Aufschwung verhilft. Doch die Mordlust, in die sich Todd immer weiter hineinsteigert, hat fatale Konsequenzen …
Die schärfste Rasur Londons
Wenn Sweeney Todd und Mrs. Lovett gemeinsam ihr Bestes geben, muss das nichts Gutes heißen. Wie gefährlich ein Besuch in Londons Fleet Street ist, zeigt das Theater Dortmund noch bis zum 13. April 2025. (Foto: Björn Hickmann)