„Jeder Musical-Darsteller trägt unsere Handschrift“
Es ist eine verrückte Zeit. Die Corona-Krise nimmt ihren Lauf. Sie hat das geregelte Leben ausgebremst, Theater- und Kulturschaffende sogar ganz in die Schranken verwiesen. Einige Theater setzen den Spielbetrieb bis MItte Juni aus. Fortsetzung nicht ausgeschlossen. Ein nicht zu kalkulierender Verlust für Event- und Produktionsfirmen, eine Bedrohung für Künstler auf und Kreative hinter der Bühne. Jetzt gilt es Nischen zu finden und Chancen zu nutzen; schlicht das Beste aus der Situation zu machen. Wie das gelingen kann, erzählt Maskenbildnerin Sonja Gast (33). Für die charmante Rheinländerin begann alles mit einem Praktikum am Metronom Theater in Oberhausen, danach folgten Ausbildungen zur Friseurin und Maskenbildnerin. Ihr Beruf führte sie quer durch Deutschland, doch die Liebe zum Ruhrgebiet und die Verbundenheit zur Heimat machte das Metronom Theater zu ihrem „Wohnzimmer“. Dort hat sie auch die jüngste Zeit verbracht und jeden Abend die Vampire tanzen lassen. Was für ein Meilenstein vor ihr liegen würde, konnte Sonja Gast sich noch im letzten Jahr kaum vorstellen: die Schließung des Hauses in Zeiten der Corona-Krise. Wäre die junge Frau nicht von so positiver Natur, hätte sie die Belastung der letzten Monate selbst in eine Krise stürzen lassen können. Doch nicht Sonja, mit der Liebe zum Beruf und der Leidenschaft für die Historie der Epochen schafft es die inspirierende Frau nicht nur sich selbst, sondern auch Freunde und Kollegen zum Durchhalten zu motivieren. Wir sprachen mit ihr über Zukunftsängste, Chancen und die Veränderung der Kulturlandschaft.
Turbulente Zeiten, liebe Sonja, mit unabsehbaren Folgen. Was ist Deine Strategie? Gibt es für Dich so etwas wie Homeoffice?
Es fällt schwer, das alles zu realisieren. Ich glaube, dass es für Prognosen noch zu früh ist, aber Fakt ist, dass alle Kulturstätten bis mindestens Ende April geschlossen bleiben; manche sogar bis Mitte Juni. Für uns, vor und hinter den Kulissen, heißt es Umdenken und andere Wege suchen. Ein klassisches Homeoffice gibt es in meinem Bereich nicht. Natürlich können wir manche Perücken auch zuhause knüpfen. Bärte und Augenbrauen können auch daheim entstehen, aber viel mehr geht nicht. Eine Strategie habe ich nicht. Genau wie jeder andere werde ich die Entwicklung gespannt verfolgen, mich auf mögliche neue Projekte konzentrieren und das Beste aus der Situation machen.
Im wahrsten Wortsinn warst Du dabei, als am 12. März der letzte Vorhang im Metronom Theater in Oberhausen fiel. Zu früh, fast unerwartet und für immer?
Definitiv zu früh, unerwartet vielleicht nicht, denn wir hatten es an dem besagten Donnerstag schon vermutet, dass es unser letzter Abend in Aktion sein könnte.
Es könnte für immer sein, aber es gibt noch einen Funken Hoffnung für das wunderschöne Haus. Eine allerletzte Entscheidung über den Fortbestand ist noch nicht getroffen.
Als Maskenbildnerin bist Du maßgeblich daran beteiligt, dem Publikum eine perfekte Illusion zu präsentieren. Was fasziniert dich an deinem Beruf?
Ich liebe genau das: eine Illusion zu schaffen und tatsächlich mit Haut und Haar in die Epochen, Geschichten und Charaktere einzutauchen. Es ist so inspirierend, sich immer neuen Herausforderungen zu stellen und die Verwandlungen der Darsteller zu kreieren. Das fertige „Produkt“ ist wie eine eigene Handschrift, Kunst eben.
Gibt es nicht strenge Vorgaben, die genau bestimmen, wie welche Rolle von allen Seiten auszusehen hat?
Natürlich, solche „Bibeln“ gibt es für jeden Darsteller. Dennoch fühle ich mich nicht in meiner eigenen Kreativität beschränkt. Mit eigener Handschrift meine ich, dass man genau erkennen kann, welcher Kollege aus der Maske die Darsteller geschminkt hat. Nehmen wir die Rolle des „Professor Abronsius“ aus TANZ DER VAMPIRE, für die Zuschauer soll er natürlich in jeder Vorstellung gleich aussehen, aber MEIN Professor hat gewisse Züge, die meine Arbeit spiegeln. Wird er am nächsten Abend von einer anderen Kollegin geschminkt, erkenne ich ihren Stil in seinem Gesicht.
Du bist erfolgreich in Deinem Beruf und hast schon an vielen Theatern gearbeitet. Was magst Du lieber: Engagements an Staatstheatern oder eine Anstellung bei Longrun-Produktionen?
Ich mag beides. Allerdings sind Musicals eine Spur verrückter. Sie sind flotter, alles geht mit hohem Tempo. Man glaubt es vielleicht nicht, aber bei TARZAN habe ich jeden Abend 5 Kilometer hinter der Bühne zurück gelegt. Es wird an spektakulären Plätzen (quasi unter dem Theaterdach) umgestylt um direkt danach wieder – hinter Bühne – die Darsteller für den Schlussapplaus herzurichten; ein bisschen abpudern, Make-Up checken und eine Blüte ins Haar. Damit auf den Fotos alle wunderschön aussehen.
Bei Staats- oder Stadttheatern geht es etwas gediegener zu, aber nicht minder spannend. Wer weiß, vielleicht folgt nach der turbulenten Zeit in Oberhausen ein klassischer Theaterstandort.
Als @maskensonja bist Du seit 2011 auf Instagram aktiv. Dein Profil besticht durch wunderschöne Fotos. Deine Follower werden täglich mehr und Du nimmst sie mit auf Reisen und in Dein Berufsleben. Wie wichtig ist Social Media für eine Maskenbildnerin?
Ich würde die Wichtigkeit gar nicht mal an meinem Beruf festmachen. Natürlich ist es für die gesamte Produktion ein Vorteil, wenn so viele wie möglich darüber berichten. So wird es bei den Arbeitgebern auch gerne gesehen, wenn Content über die Stücke verbreitet wird.
Ich liebe an meinem Profil, dass ich dort mein Hobby, das Fotografieren, und meinen Traumberuf vereinen kann.
Davon abgesehen ist Social Media in unserem Bereich perfekt zum Netzwerken. In unserer Branche nehmen wir so oft Abschied von lieb gewonnen Menschen und so können wir in Kontakt bleiben. Außerdem werden andere Arbeitgeber auf uns aufmerksam und da viele von uns projektbezogen arbeiten, erleichtert es die Jobsuche.
Vom privaten Spaßfaktor einmal abgesehen, denn der ist sowieso groß. Ich schaue selber gerne Reisetipps und folge vielen spannenden Profilen.
Außerdem, in Zeiten wie diesen entpuppt sich das Netz mehr und mehr zum Draht in die Welt. Denn für mich und alle anderen Kollegen gilt: #bleibtzuhause