Nienke Jos erweist sich erneut als tiefgründig vielschichtige, neutrale Erzählerin

Foto: Christian Müller

Wer einen typischen Whodunit-Roman erwartet kommt im zweiten Teil von „Die Einsamkeit der Schuldigen“ von Nienke Jos nicht wirklich auf seine Kosten. Beeindruckt von den 500 Seiten dürften Kenner spannender, teils verstörender Charaktere sein, denn die Figuren in den Romanen verlangen dem Leser einiges ab. Hin und her gerissen zwischen wohlwollendem Verständnis, latent aufkeimendem Ekel und ungeduldigem Bangen nimmt Jos ihre Leser mit auf eine emotionale Reise in die Abgründe der Möglichkeiten. Der finale Teil schließt zwar in sich ab, lässt aber gedanklichen Spielraum für zukünftige geniale Schachzüge des oder besser, der Bösen.

Ich treffe die Autorin in ihrer Wahlheimat Wiesbaden. Am Tatort sozusagen, denn unser Treffpunkt ist gleichzeitig Schauplatz des Mordes im ersten Teil. Tatsächlich, beim Betreten des beliebten Bistros in der Innenstadt habe ich ein déjà-vu: Ich fühle auf seltsame Weise mit dem Opfer, das gleichzeitig der verstörendste Mime war und, genauso wie ich jetzt, hier am Tisch saß. Nichtsahnend beim Eintritt des späteren Täters.
Ich ertappe mich dabei, wie ich versuche die Tür im Blick zu behalten, trotz der lebhaften Konversation mit Nienke Jos. Ein Beweis dafür, dass die Autorin mit ihren teils düsteren, teils unvorhersehbaren Abläufen ins Schwarze trifft. Mir gegenüber sitzt eine attraktive Enddreißigerin. Ihre warmen, wachen braunen Augen lassen nicht ahnen, welche Szenarien sich in ihrem Kopf abzuspielen vermögen. Lächelnd erzählt sie von der Umsetzung ihrer Werke, nimmt ihre Protagonisten in Schutz um sich gleichzeitig als natürliche Person von ihnen zudistanzieren.
Der zweite Teil gibt kein lautes Tötungsdelikt her. Muss er auch nicht, denn er zehrt noch von den komplexen Erzählsträngen seines Vorgängers. Neue und alte Protagonisten finden im zweiten Teil auf nachvollziehbare Weise zueinander und verschonen sich gegenseitig nicht mit schrecklichen Offenbarungen. Schon in Teil 1 schreckte Nienke Jos offensichtlich vor nichts zurück, in Teil 2 auch nicht, jedoch ist ihr Werk subtiler. Sie spielt mit ihren lesenden Gutmenschen, führt sie an der Nase herum und bringt sie schonungslos dazu in den Abgrund zu blicken. Selbst in einen unvorstellbaren. Welcher das ist, mag für die Leser unterschiedlich sein. Meine Herausforderung als Leser war zu erkennen, dass selbst eine gesellschaftlich glorifizierte Unschuld von der Autorin gezeichnet Abgründiges in sich trägt. Grandi-Jos!

Vier Fragen an Nienke Jos


Nienke Jos, die Krimi-Autorin. Wie gefällt Ihnen die Titulierung?

Sie würde falsche Erwartungen wecken. Die Aufklärung eines Mordes macht doch den Krimi zu einem Krimi. In meinen Thrillern gibt es keine Ermittler, die sich mit solidem Handwerk an die Fersen eines unbekannten Täters hängen. 

Band 2  war das Finale. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied von Helden und Bestien?

Der Abschied kam nicht von heute auf morgen. Irgendwann war alles erzählt, ich habe meine Protagonisten gerne ziehen lassen. Manchmal aber erwische ich mich bei dem Gedanken, wo sie jetzt wohl sind und wie es ihnen geht. Das kling ziemlich schräg, oder?


Was ist ein ONCE-IN-A-LIFETIME-Plot?

Ein unerwartetes Ereignis, das alles verändert. Nicht nur den Verlauf eines Lebens, sondern auch den Menschen selbst.


Das nächste Buch ist so gut wie fertig. Wann erscheint es und worauf können sich die Leser freuen?

Es ist wieder ein Thriller, spannend bis zum Schluss, mit Tiefgang und raffinierten Wendungen, da bin ich meinem Stil treu geblieben. Wann er erscheint, darf ich noch nicht verraten, aber er kommt!

Klappentext zu „Die Einsamkeit der Schuldigen – Der Abgrund“ – Teil 2:

Wenn man auf den Tod wartet, können sich Minuten schier unendlich hinziehen, während im Kampf ums Überleben jede Sekunde zählt.“ Kaum eine Autorin geht so gnadenlos mit ihren Protagonisten um, wie Nienke Jos es tut. Auch im lang ersehnten zweiten Teil stellt sie ihre Leser kompromisslos auf die Probe: Kein Weiß, kein Schwarz, kein furioses Finale, stattdessen eine moralische Irrfahrt an den Abgrund der menschlichen Seele. Und wer noch glaubt, Jos habe etwas für die Guten übrig, wird hier meisterlich durch die Manege geführt. Ein gelungener Abschluss des spannenden Zweiteilers.

(Wir danken Verlag und Autorin für die Zusammenarbeit)