Es ist ein Mittwoch Ende März. München präsentiert sich nicht überlaufen bei mittelprächtigem Wetter. Die Vorfreude auf meinen Besuch am Abend im Theater am Gärtnerplatz ist groß. Das Stück eine Legende: Les Misérables nach dem Roman von Victor Hugo.
Ich erinnere mich genau an mein „erstes Mal“. Es ist fast 30 Jahre her. Die Stella AG hatte das Duisburger Theater am Marientor extra für diese Produktion hergerichtet. Damals mit Jerzy Jeszke und Hartwig Rudolz in den Hauptrollen. Ein gefeiertes Meisterwerk des Musicals. Kann die Münchner Inszenierung mithalten? In Gedanken bin ich schon im Paris zur Zeit der französischen Revolution als ich durch den Englischen Garten flaniere. Da ahne ich noch nicht, welches Glück ich und alle anderen Besucher am Abend haben werden, dass die Aufführung überhaupt stattfindet.
Das Gärtnerplatztheater
Das Staatstheater am Gärtnerplatz ist eine kleine Oase mitten im urbanen Treiben. Als kulturelles Wahrzeichen Münchens und eine der führenden Bühnen für Oper, Operette und Musical in Deutschland begegnen sich hier Kulturliebhaber aller Generationen.
Die Handlung von LES MISÉRABLES
Es ist eine Geschichte über den ehemaligen Sträfling Jean Valjean, der sich nach seiner Freilassung bemüht, ein aufrichtiges Leben zu führen, während ihn Inspektor Javert unerbittlich verfolgt. Inmitten des sozialen Elends und politischen Umbruchs des 19. Jahrhunderts begegnen sich die Schicksale mehrerer Charaktere, die alle auf der Suche nach Liebe, Erlösung und Freiheit sind. Vor allem das Schicksal der todkranken Fantine und ihrer kleinen Tochter Cosette steht im Vordergrund in Zeiten der Kriegswirren des 19. Jahrhunderts.
Der Konflikt zwischen Jean Valjean und Javert
„Les Misérables“ von Victor Hugo ist eine epische Erzählung über Liebe, Vergebung, soziale Gerechtigkeit und die menschliche Natur. Eine der zentralen Geschichten in diesem Meisterwerk ist die Beziehung zwischen Jean Valjean und Inspektor Javert.
Jean Valjean ist ein ehemaliger Sträfling, der wegen des Diebstahls eines Laibs Brot für 19 Jahre im Gefängnis saß. Nach seiner Entlassung hat er Schwierigkeiten, in der Gesellschaft Fuß zu fassen, aber der gütige Bischof Myriel zeigt ihm Mitgefühl und verändert sein Leben, indem er ihm vergibt und ihm eine zweite Chance gibt. Valjean nimmt diese Gnade an und entscheidet sich, sein Leben zu ändern, indem er sich selbstlos für das Wohl anderer einsetzt.
Javert hingegen ist ein fanatischer Polizeiinspektor, der die Gesetze über alles stellt. Er betrachtet Valjean als Verbrecher und ist besessen von dessen Verhaftung. Die Beziehung zwischen Valjean und Javert ist geprägt von einem ständigen Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Javert unerbittlich versucht, Valjean zu fassen, während Valjean versucht, seinem früheren Leben zu entkommen und ein aufrichtiges Leben zu führen.
Im Laufe der Geschichte entwickelt sich jedoch eine tiefgründige Dynamik zwischen den beiden Männern. Valjean versucht, Javert zu zeigen, dass er sich geändert hat, und bietet ihm mehrmals die Möglichkeit zur Versöhnung an. Doch Javert ist von seinem Glauben an die Unveränderlichkeit des Gesetzes so festgefahren, dass er sich weigert, Valjeans Wandel anzuerkennen.
Die Konfrontation zwischen Valjean und Javert erreicht ihren Höhepunkt während der Pariser Aufstände von 1832. Valjean rettet Javerts Leben, als dieser von den Revolutionären gefangen genommen wird. Javert ist zutiefst verwirrt und von Schuldgefühlen geplagt, da sein Weltbild ins Wanken gerät. Wie und ob Javert einen Ausweg aus seinem persönlichen Dilemma findet, verrate ich an dieser Stelle natürlich nicht.
Die Geschichte von Jean Valjean und Javert in „Les Misérables“ ist ein ergreifendes Porträt von menschlicher Güte und Moral, von Vergebung und dem Kampf zwischen Recht und Gnade. Sie zeigt, wie stark die Bindung zwischen den Menschen sein kann, selbst in den dunkelsten Zeiten.
Die Vorstellung
Ich lausche den Gesprächen im Foyer und stelle fest, dass ich anscheinend nicht die einzige bin, die das Stück schon mehrmals gesehen hat. „Ich habe es in London gesehen, da läuft es seit Jahren.“ „Ich habe es schon fünf Mal gesehen.“ Die Spannung steigt. Wie gut hat Regisseur Josef E. Köpplinger seinen Job gemacht? Kann die Münchner Produktion mithalten? Bis auf den letzten Platz füllt sich das im neoklassizistischen Stil erbaute Theater mit bis zu 700 Zuschauern. Das Saallicht wird gedimmt, doch der Vorhang hebt sich nicht. Das Publikum raunt. Ein Mann ohne Kostüm betritt die Bühne, hebt das Mikrofon an die Lippen und räuspert sich. Er erzählt von einem Virus, der die Runde macht und leider auch vor dem Ensemble keinen Halt macht. Wer die Premierenrezensionen gelesen hat weiß, dass Armin Kahl (Jean Valjean) nach einem Drittel der Vorstellung nicht weiter singen konnte und Filippo Strocchi, der die Rollen von Jean Valjean UND Javert einstudiert hat, eingesprungen ist. Die Zuschauer halten den Atem an, als der Mann weiterspricht und erklärt, dass an diesem Abend Filippo Strocchi Javert spielen MUSS und, da Armin Kahl immer noch krank ist, quasi kein Jean Valjean zugegen gewesen wäre. Wenn, ja wenn sich nicht Daniel Prohaska bereit erklärt hätte, diese Rolle mehr als spontan zu übernehmen. Vor Jahren hatte der Bayerische Kammersänger die Hauptrolle schon einmal gespielt und würde sie nun erneut verkörpern. Jedoch ohne eine einzige Bühnenprobe. Applaus, erleichtert und bewundernd, brandet auf. Das Licht erlischt und schon finde ich mich im Toulon des 19. Jahrhunderts wieder und wohne Jean Valjean Freilassung bei. Das große Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung von Andreas Partilla spielt mit Hingabe die leidenschaftliche Musik von Claude-Michel Schönberg. Bühne, Kostüm und Requisite überzeugen als wunderbare Einheit und erinnern durchaus an die damalige Inszenierung. Das Ensemble ist großartig. Die Kinderdarsteller erobern die Herzen im Sturm und die skurrilen Wirtsleute Thénandier haben die Lacher auf ihrer Seite. Nach fast drei Stunden schönstem Elend in all seinen Facetten endet die Vorstellung mit einem fulminanten Finale und noch vor dem letzten Ton springen die Zuschauer jubelnd von ihren Sitzen. Begeisterungsstürme wehen den Akteuren entgegen als gäbe es kein Morgen. Doch wer denkt, das wäre nicht zu toppen, hat die Rechnung ohne Daniel Prohaska gemacht. Bravorufe, tosender Beifall und ekstatischer Jubel für eine künstlerische Meisterleistung. Ich spüre Dankbarkeit bei allen Beteiligten. Und am meisten bei Daniel Prohaska selbst. Er lacht erleichtert und lässt sich feiern. Wie wunderbar, dass ich genau diese Vorstellung mitten in der Woche, mitten in München miterleben darf. Sie wird in die Legende des Theaters eingehen. Oder vielleicht doch nicht? Weil solche Situationen öfter vorkommen als die Zuschauer denken? Wie dem auch sei, die Magie des Musiktheaters hat an diesem Abend alles gegeben. Danke, ihr alles andere als Elenden!
Alle regulären Vorstellungen sind ausverkauft – aber:
Am Pfingstmontag, den 20. Mai, gibt es eine Zusatzvorstellung im Theater am Gärtnterplatz. Ab dem 8. April um 10 Uhr gehen die Tickets in den Verkauf. Für alle weiteren Infos reicht ein Klick auf das Foto.