Die Wiener Hofreitschule, auch als Spanische Hofreitschule bekannt, ist ein Juwel der österreichischen Kultur und repräsentiert eine jahrhundertealte Tradition der Reitkunst. Die Geschichte der Hofreitschule reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück, als Erzherzog Maximilian II. eine königliche Reitschule gründete. Seit ihrer Gründung hat sich die Hofreitschule zu einem Symbol für die hohe Kunst der Dressur und der klassischen Reitkunst entwickelt. Sie ist Teil der Wiener Hofburg und beherbergt neben den Stallungen für ca. 70 Pferde eine Sommerreitbahn, eine Winterreithalle und die größte Führanlage Europas.
Ein besonderes Merkmal der Hofreitschule ist die Zucht der Lipizzaner. Eine edle Pferderasse, die für ihre Anmut, Intelligenz und Kraft bekannt ist. Die Lipizzaner werden seit dem 18. Jahrhundert gezielt gezüchtet, und die Hofreitschule spielt eine entscheidende Rolle in ihrem Erhalt. Die Zucht erfolgt nach strengen Kriterien, um Pferde mit optimalen Eigenschaften für die anspruchsvolle Dressur auszuwählen. Die Lipizzaner für die Wiener Hofreitschule stammen vom Gestüt Piber, etwa drei Autostunden von Wien entfernt in der westlichen Steiermark.
Die Vorstellungen in der Hofreitschule sind ein beeindruckendes Erlebnis, das Besucher aus der ganzen Welt anzieht; daher sind spontane Besuche eher nicht zu empfehlen. Die Lipizzaner-Hengste zeigen eine beeindruckende Palette von Dressurübungen, wobei drei spezielle Sprünge über der Erde – Kapriole, Levade und Courbette – besonders im Fokus stehen. Diese anspruchsvollen Sprünge erfordern nicht nur Geschicklichkeit, Balance und Kraft von den Pferden, sondern auch großes Vertrauen zwischen Bereiter und Lipizzaner. Nicht jeder Hengst zeigt jeden der drei Sprünge, da die Fähigkeiten und Neigungen der Pferde individuell berücksichtigt werden.
Der spektakulärste Sprung ist die Kapriole. Dabei balanciert das Pferd zunächst auf der Hinterhand um dann in vollendeter Körperspannung vom Boden abzuheben und mit den Hinterbeinen in der Luft nach hinten auszustreichen, wie es im Fachjargon heißt. Bei unserem Besuch Anfang Januar durften wir während der Vorstellung die letzte Kapriole von Siglavy Theodora II miterleben. Einem 25-jährigen Hengst, der nun seinen wohlverdienten Ruhestand genießt. Wahrscheinlich wird er nun die Stuten in Piber „besuchen“. Der emotionale Abschied ließ die knapp 1000 Zuschauer nicht ungerührt und auch die Moderatorin hatte Mühe das Zittern ihrer Stimme zu kontrollieren. Da zeigt sich noch einmal mehr, welchen Stellenwert die Pferde der Hofreitschule haben. Denn trotz der gerade wegen der beeindruckenden künstlerischen Leistungen gibt es auch kritische Stimmen, die sich auf das Tierwohl konzentrieren. Die intensive Dressurarbeit und die Vorführungen können anstrengend für die Pferde sein. Die Hofreitschule hat jedoch Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass das Wohlbefinden der Lipizzaner oberste Priorität hat. Tierärzte überwachen regelmäßig die Gesundheit der Pferde und die Arbeitsbelastung wird auf ein wohl annehmbares Maß minimiert. „Unsere Hengste leben hier mitten in der Stadt und ein Aufenthalt auf der Weide ist vor Ort leider nicht möglich. Daher schicken wir unsere Hengste alle paar Wochen zum Heldenberg. Unsere Ausbildungsstätte im niederösterreichischen Weinviertel sorgt für viel Auslauf und Abstand zu den Präsentationen hier in Wien“, erfahren wir während einer Führung durch die Stallungen von einer Mitarbeiterin. Tatsächlich wirken die Stallungen wie ein Fünf Sterne Hotel vergangener Zeiten. Mit Stuck und Ornamenten an Decken und Wänden und teils mit Marmortrögen in den Boxen. Duftendes Heu, saubere Einstreu und durchweg gepflegte, gut genährte und munter wirkende Lipizzaner. Unter den Schimmeln auch ein einziger dunkelbrauner Hengst, bei ihm hat sich ein uralten Farbgen durchgesetzt, was sehr selten ist. Man sagt, dass ein dunkler Lipizzaner der Glücksbringer für den ganzen Stall ist, und Mitnichten das Schwarze Schaf.
Nicht nur die Ausbildung der Hengste ist bemerkenswert, auch die Bereiter durchlaufen eine langjährige, anspruchsvolle Ausbildung, die neben Disziplin vor allem Hingabe erfordert. Die Beziehung zwischen Bereitern und Lipizzaner-Hengsten sollte von Vertrauen, Geduld und Respekt geprägt sein. Bewerben können sich Interessierte ab 15 Jahre. Voraussetzungen sind fortgeschrittene Kenntnisse im Dressurreiten und selbstverständlich im Umgang mit Pferden. Da die Tradition auch zur optischen Eleganz verpflichtet, sollten die Bewerber ca. 174 cm groß und schlank sein. Sogar auf das Verhältnis zwischen Beinlänge und Oberkörper wird geachtet. Die Ausbildungsstationen führen von der Lehre zum Pferdewirtschaftsfacharbeiter über den Eleven und Bereiteranwärter hin zum Bereiter. Bis dahin sind acht bis zwölf Jahre vergangen. Momentan gibt es 15 Bereiter an der Wiener Hofreitschule, zwei von ihnen sind Oberbereiter und mit diesem Titel für die hohe Qualität der Ausbildung von Pferden und Reitern verantwortlich. Übrigens, nach rund 450 Jahren werden seit 2008 auch Frauen zum Bereiter ausgebildet; ein längst fälliger Gendererfolg sozusagen. Kleiner Funfact: Es gibt aktuell zu wenig männliche Bewerber.
Allem Fortschritt zum Trotz: Das Erbe der Spanischen Hofreitschule in Wien ist von unschätzbarem Wert, und die kritische Auseinandersetzung mit dem Tierwohl zeigt, dass die Hofreitschule stets bestrebt ist, die Balance zwischen Tradition und modernen Standards zu finden. Besucher dürfen sich auf eine faszinierende Reise in die Welt der klassischen Reitkunst freuen und gleichzeitig darauf vertrauen, dass die Lipizzaner mit Respekt und Fürsorge behandelt werden. Denn keiner der weißen Showstars könnte wohl derartige Höchstleistungen vollbringen, würde er nicht nach besten vorhandenen Möglichkeiten artgerecht gehalten.
Na Servus!
Während einer Führung durch die Stallungen kommen die Besucher den Hengsten sehr nah. Tuchfühlung natürlich verboten! Für weitere Informationen zur Spanischen Hofreitschule genügt ein Klick auf diese zwei Stars ...